Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116b SGB V: Konkretisierung für rheumatologische Krankheitsbilder liegt vor

von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Mit der Neufassung des § 116 SGB V wurde der Grundstein für eine neue sektorenübergreifende Versorgungsstruktur gelegt. Die weitergehende Ausgestaltung ist dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) anvertraut worden, der nunmehr in seiner Sitzung vom 15.12.2016 die Anlagen für die rheumatologischen Krankheitsbilder sowie für die Mukoviszidose beschlossen hat. Die Beschlüsse treten vorbehaltlich der Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit in Kraft. Die Konkretisierung birgt einige Überraschungen. Gleichwohl ist nunmehr für viele rheumatologische Leistungserbringer der Weg für eine gesicherte ambulant-stationäre Versorgung geebnet.

Welche Krankheitsbilder dürfen im Bereich der Rheumatologie im Rahmen der ASV behandelt werden? 

In der ursprünglichen Gesetzesfassung war das Spektrum der ASV für rheumatologische Erkrankungen auf schwere Verlaufsformen begrenzt. Diese Einschränkung wurde zwischenzeitlich aufgehoben. Die ASV-fähigen rheumatologischen Krankheitsbilder sind durch Benennung von ICD-10-Codes spezifiziert worden. Weiter ist eine Differenzierung zwischen der Behandlung von Erwachsenen und Kindern im Beschluss angelegt. Die erfassten Krankheitsbilder sind weit gehalten und umfassen u. a. sowohl für Kinder als auch für Erwachsenen:

  • Sonstige Thrombophilien,
  • Purpura anaphylactoides,
  • Kryoglobulinämie,
  • Iridozyklitis (nicht näher bezeichnet),
  • Rheumatisches Fieber ohne Angabe einer Herzbeteiligung,
  • Arteriitis (nicht näher bezeichnet),
  • Seropositive sowie seronegative chronische Polyarthritis,
  • Spondylitis psoriatica,
  • sonstige psoriatrische Arthritiden,
  • Juvenile und sonstige Arthritis,
  • Systemischer Lupus erythematodis,
  • juvenile und sonstige Dermatomyositis etc.

Bei Erwachsenen sind zusätzlich u. a. Krankheitsbilder wie die Spondylitis ankyolsans oder die chronische multifokale Osteomyelitis, bei Kindern und Jugendlichen weitere Formen der Sarkoidose sowie auch der Urtikaria durch Wärme und Kälte benannt. Näheres ist dem Beschluss zu entnehmen (Link am Ende Beitrags).

Wer darf an der ASV teilnehmen? 

An der ASV können Vertragsärzte und zugelassene Krankenhäuser teilnehmen, soweit sie die Voraussetzungen nach den Richtlinien und den für das jeweilige Krankheitsbild geltenden Konkretisierungen des G-BA erfüllen. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung ist die ASV somit keineswegs eine allein dem stationären Sektor vorbehaltene Leistungsform. Die Teilnahme muss unter Beifügung entsprechender Belege gegenüber dem (um Vertreter der Krankenhäuser) erweiterten Landesausschuss angezeigt werden, der vielfach räumlich bei den Kassenärztlichen Vereinigungen angesiedelt ist.

Welche Grundvoraussetzungen sind personell zu erfüllen? 

Bei allen Krankheitsbildern – also auch bei den rheumatologischen Erkrankungen – ist ein interdisziplinäres Team zu gründen, das auch durch vertragliche (ggf. sektorenübergreifende) Kooperationen etabliert werden kann und sich aus einem Teamleiter, dem Kernteam sowie – bei medizinischer Notwendigkeit – zeitnah hinzuzuziehenden Fachärzten zusammensetzt.

  • Der Teamleiter hat die Aufgabe, die ASV fachlich und organisatorisch zu koordinieren und gehört damit zwingend dem Kernteam an.
  • Die Mitglieder des Kernteams sind Fachärzte, deren Kenntnisse und Erfahrungen zur Behandlung im Rahmen der ASV in der Regel eingebunden werden müssen. Sie müssen die ASV-Leistungen am Tätigkeitsort des Teamleiters zumindest an einem Tag in der Woche anbieten. Ausgenommen sind „immobile“ Leistungen bzw. die Untersuchung von entnommenen Untersuchungsmaterialien. Unmittelbar am Patienten zu erbringende Leistungen müssen in der Regel in 30 Minuten vom Teamleiterstandort erreichbar sein. Die hinzuzuziehenden Fachärzte sind solche, deren Fähigkeiten und Kenntnisse in Abhängigkeit vom Krankheitsbild typischerweise bei einem Teil der Patienten benötigt werden. Auch hier gilt die 30-Minuten-Regel.

Während bei anderen Entitäten meist mehrere Facharztgruppen für die Teamleitung in Betracht kommen, muss bei den rheumatologischen Krankheitsbildern zwingend ein Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie (Erwachsene) bzw. ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatz-Weiterbildung „Kinder-Rheumatologie“ (Kinder/Jugendliche) die Teamleitung übernehmen.

Für die rheumatologischen Erkrankungen bei Erwachsenen und Kindern lässt sich das interdisziplinäre Team wie folgt tabellarisch darstellen (Facharztbezeichnung teils abgekürzt):

Erwachsene

Kinder/Jugendliche

Kernteam
Hinzuzuziehende FÄe
Kernteam
Hinzuzuziehende FÄe
  • Innere-Rheumatologie
  • Dermatologie
  • Innere-Nephrologie
  • Innere-Pneumologie
  • Orthopädie/UC mit WB orthopädische Rheumatologie
  • Augenheilkunde
  • Gynäkologie
  • HNO
  • Humangenetik
  • Innere-Angiologie
  • Innere-Gastroenterologie
  • Innere-Onkologie
  • Innere-Kardiologie
  • Labor
  • Mikrobiologie
  • Neurologie
  • Nuklearmedizin
  • Pathologie
  • Psychiatrie und/oder Psychotherapie
  • Radiologie
  • Urologie
  • KJM-mit WB Kinder-Rheumatologie
  • Augenheilkunde
  • Orthopädie/UC mit WB orthopädische Rheumatologie
  • Gynäkologie
  • HNO
  • Dermatologie
  • Humangenetik
  • Innere-Angiologie
  • Innere-Gastroenterologie
  • Innere-Onkologie bzw. Kinderonkologie
  • Innere-Kardiologie oder Kinderkardiologie
  • Innere-Nephrologie oder Kindernephrologie
  • Innere-Pneumologie oder Kinderpneumologie
  • Labor
  • Mikrobiologie
  • Neurologie
  • Pathologie
  • Psychiatrie und/oder Psychotherapie
  • Radiologie

 

Eine Vertretung des jeweiligen ASV-Arztes ist ebenfalls nur durch einen Facharzt möglich, der über sämtliche erforderlichen Qualifikationen verfügt. Vertretungen sind im Übrigen gegenüber dem erweiterten Landesausschuss anzuzeigen, soweit sie länger als eine Woche andauern.

Assistenzärzte können entsprechend dem Stand ihrer Weiterbildung unter Verantwortung eines zur Weiterbildung befugten Mitglieds des interdisziplinären Teams in die ASV zur Durchführung ärztlicher Tätigkeiten einbezogen werden. In diesem Fall gilt der Facharztstandard. Diagnosestellung und leitende Therapieentscheidungen dürfen von Assistenzärzten nicht erbracht werden.

Welche infrastrukturellen Maßnahmen sind zwingend? 

Soweit in den Konkretisierungen nicht noch weitergehende Anforderungen gestellt werden, müssen jedenfalls die Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V eingehalten werden. Diesbezüglich zeigt sich bundesweit eine stark unterschiedliche Verwaltungspraxis. Während in einigen Regionen die Versicherung, die Qualitätssicherungsvorgaben einzuhalten, genügt, wird in anderen Regionen eine vollständige Qualitätssicherungsprüfung verlangt. Es ist nicht auszuschließen, dass ASV-feindlich eingestellte Mitglieder der jeweiligen erweiterten Landesausschüsse auf diesem Weg die ASV (weiterhin) zu behindern suchen. In vielen Regionen funktioniert die Umsetzung indes recht gut, wenngleich der Verwaltungsaufwand für das Anzeigeverfahren beträchtlich ist.

Infrastrukturell müssen sodann in jedem Fall behindertengerechte, möglichst barrierefreie Räumlichkeiten vorgehalten werden. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Leistungserbringung nicht zwingend in einem Krankenhaus erfolgen muss, sondern auch ein Vertragsarzt als Teamleiter in Betracht kommt und somit die Leistungen schwerpunktmäßig in der vertragsärztlichen Praxis erbracht werden. Die angeführte 30-Minuten-Regel wird dann jedoch zu beachten sein, soweit etwaig erforderliche Begleitleistungen wie z. B. Notfalllabor, Intensivstation etc. nachgewiesen werden müssen. So ist etwa eine 24-Stunden-Notfallversorgung mindestens in Form einer Kooperation des jeweiligen ASV-Teams mit einer rheumatologischen Akutklinik oder einem Krankenhaus, das über eine internistische Abteilung und Notaufnahme verfügt, darzulegen. Weiter muss auch die Möglichkeit einer intensivmedizinischen Behandlung vorgehalten werden (ggf. über eine Kooperation). Bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen muss ein Krankenhaus mit einer Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin und einer Notaufnahme jedenfalls durch Kooperation eingebunden sein.

Welche Behandlungen können durchgeführt werden? 

Der Behandlungsumfang der ASV wird krankheits- und anlassbezogen durch die Konkretisierungen im Beschluss festgelegt. Das Spektrum ist denkbar weit und erfasst u. a. allgemeine und besondere Diagnostik, bildgebende Verfahren, Funktionsdiagnostik etc. Es sind zudem auch Leistungen, die bislang nicht im EBM enthalten sind, erbring- und abrechenbar, nämlich augenärztliche Leistungen, die keine eigene GOP im EBM haben, sondern nur Teil einer Pauschale sind.

Bei Erwachsenen könne auch PET-/PET-CT-Leistungen unter näher umschriebenen Voraussetzungen angewandt werden. Bei Kindern und Jugendlichen sind diese Leistungen nicht Teil der ASV, stattdessen aber humangenetische Untersuchungen zur genetischen Bestätigung bei Verdacht auf Hereditäre Periodische Fiebersyndrome und Blau-Syndrom oder der geleitete Übergang in ein erwachsenenorientiertes Versorgungssystem (Transition).

Krankenhäuser, die an der ASV teilnehmen, dürfen darüber hinaus fachärztliche Leistungen erbringen und abrechnen, sofern diese im unmittelbaren Zusammenhang zur Katalogerkrankung stehen, die Leistung im Haus erfolgt und dem Patienten eine Überweisung zu einem niedergelassenen Vertragsarzt nicht zumutbar ist.

Im Übrigen können in der ASV auch Arznei- und Heilmittelverordnungen ausgestellt werden sowie Rehabilitationen oder Krankenhausbehandlung oder häusliche Krankenpflege verordnet werden. Geeigneten Patienten soll zudem auch die Teilnahme in nationalen sowie internationalen Studien ermöglicht werden.

Bedarf es für die ASV einer Überweisung durch einen Vertragsarzt? 

Es bedarf regelhaft einer Überweisung durch einen Vertragsarzt; diese ist nach zwei Quartalen zu erneuern. Die ASV-Richtlinie sieht ebenso wie der konkretisierende Beschluss als Ausnahme zu diesem Grundsatz vor, dass Überweisungen auch durch ASV-Ärzte sowie aus dem stationären Bereich eines ASV-Krankenhauses heraus erfolgen können.

Die Aufnahme in die ASV kann auch auf Basis einer Verdachtsdiagnose geschehen. Diese Überweisung setzt sodann aber eine medizinische Begründung durch den einweisenden Arzt voraus und bedarf im Vorfeld einer näher umschriebenen Mindestdiagnostik.

Wie werden ASV-Leistungen vergütet? 

Die Leistungen der ASV werden unmittelbar und unbudgetiert von der Krankenkasse vergütet. Leistungserbringer können die Kassenärztliche Vereinigung gegen Aufwendungsersatz mit der Abrechnung von Leistungen im Rahmen der ASV beauftragen.

Derzeit erfolgt die Umsetzung dergestalt, dass ein eigenes Kapitel 50 im EBM aufgebaut wird. Soweit Leistungen im Rahmen der ASV erbracht werden können, die noch nicht im EBM enthalten sind, sind diese zu (gemäßigten Sätzen) nach der GOÄ abrechnungsfähig.

Mindestmengenvorgaben 

Der Gesetzgeber hat beibehalten, dass der G-BA für einzelne ASV-Leistungen Mindestmengen etablieren darf. Für die rheumatologischen Krankheitsbilder gilt nur für die Behandlung von Erwachsenen eine Mindestmengenvorgabe: Das Kernteam (nicht der einzelne Arzt!) muss mindestens 240 Patienten mit den im Beschluss benannten Krankheitsbildern mit gesicherter Diagnose in den letzten vier Quartalen behandelt haben.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung genügt es indes, wenn zumindest 50 % dieser Mindestmenge erreicht wurde und im weiteren ASV-Verlauf die Mindestmenge erreicht wird (Dispens). Damit hat sich der G-BA an der vom Berufsverband Deutscher Rheumatologen vorgeschlagenen Größenordnung von 240 Fällen gesicherter entzündlicher Rheumaformen orientiert.

Erfolgt eine Prüfung der ASV-Verordnung und -Abrechnung? 

Die Vergütungsanforderung im Rahmen der ASV wird durch die Krankenkassen selbst geprüft. Die Kassen können aber den MDK oder eine Arbeitsgemeinschaft mit dieser Prüfung beauftragen. Die Verordnungsleistungen, vor allem die Heil- und Arzneimittelverordnungen, werden durch die Prüfungsstellen nach § 106 SGB V gegen Kostenersatz im Auftrag der Krankenkassen geprüft. Es bleibt abzuwarten, wie die für eine Prüfung notwendigen Rahmendaten (z. B. Richtgrößen, Vergleichsgruppendaten etc.) ermittelt werden sollen. Die bisherigen Erfahrungen im Rahmen des § 116b SGB V (alte Fassung) lassen vermuten, dass auch im Rahmen der neuen ASV bis auf Weiteres keine umfassenden Prüfverfahren durchgeführt werden (können), sondern sich die Prüfung aller Voraussicht nach auf sog. „Einzelfallprüfungen“ bzw. formale Aspekte beschränken wird.

Ist eine sektorenübergreifende Kooperation zwingend? 

Bei onkologischen Patienten besteht intersektoraler Kooperationszwang. Für die übrigen der ASV zugewiesenen Erkrankungen wie vorliegend die Rheumatologie werden Kooperationserfordernisse mit dem jeweils anderen Versorgungssektor in den Anlagen gesondert ausgewiesen. Vorgesehen sind lediglich die oben benannten strukturellen Vorgaben, die ggf. für eine vertragsärztlich konzipierte ASV eine Kooperation mit einem Krankenhaus erforderlich machen.

In der anwaltlichen Beratungspraxis ist nach unserer Wahrnehmung ein Trend zu einer einvernehmlichen sektorenübergreifenden Konzeption zu erkennen, wobei die Initiative oftmals von den Kliniken ausgeht. Jeder Leistungserbringer kann sodann grundsätzlich jeweils mehreren ASV-Teams angehören.

Die Kooperationsvereinbarung („ASV-Vertrag“) ist im Rahmen des Anzeigeverfahrens vorzulegen. Darüber hinaus ist anzuraten, ein Konfliktmanagement in der Kooperationsvereinbarung vorzusehen, da streitige Auseinandersetzungen mit Blick auf die – teils erzwungene – Zusammenarbeit nicht auszuschließen sind.

Wie funktioniert das Anmeldeverfahren? 

Wer an der ASV teilnehmen möchte, muss dies gegenüber dem erweiterten Landesausschuss unter Beifügung der notwendigen Belege anzeigen. Zwei Monate nach Eingang der Anzeige ist man zur Teilnahme an der ASV berechtigt, es sei denn, der erweiterte Landesausschuss teilt binnen dieser Frist mit, dass der Antragsteller die Voraussetzungen nicht erfüllt. Im Rahmen des Anmeldeverfahrens ist der erweiterte Landesausschuss berechtigt, erforderliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anzufordern; in diesem Fall wird die Zweimonatsfrist unterbrochen. Die jeweiligen erweiterten Landesausschüsse halten Anzeigeformulare zum Download vor.

Erste Erfahrungswerte aus den bereits konkretisierten und mit ASV-Teams besetzten Bereichen Tuberkulose und Gastrointestinaltumore haben gezeigt, dass das Anzeigeverfahren je nach Bundesland teilweise mit erheblichen bürokratischen Hürden verbunden ist und das Ausfüllen der sehr umfangreichen Anzeigeformulare fehleranfällig ist. Es ist daher ratsam, erfahrene Unterstützung beizuziehen und einen ausreichenden Zeitvorlauf einzukalkulieren.

Fazit 

Die ASV eröffnet für Kliniken wie auch Vertragsärzte bedeutsame Optionen für die Behandlung der Patienten und auch für die strategische Ausrichtung und Erweiterung, die es zu nutzen gilt. Versuch macht klug!

Weiterführende Hinweise

  • Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie ambulante spezialfachärztliche Versorgung § 116b SGB V: Änderung der Anlage 1.1 – Ergänzung Buchstabe b (rheumatologische Erkrankungen) unter http://tinyurl.com/h7f2mow